Karlsruhe. Kesselhaus. Färberei. So die Ortsangabe für das Event, welches ich am vergangenen Donnerstag besuchte. Es handelte sich aber nicht um die KKF-, sondern um die XXL-Ausgabe des E-Commerce-Forum. Veranstalter dieser Event-Serie ist das Unternehmen .flagbit. Soweit die harten Fakten. Nun schauen wir mal gemeinsam auf die Inhalte.
E-Commerce XXL in der Färberei
Den Zusatz „XXL“ bekam die Veranstaltung aufgrund des Speaker line-ups. Vier Vorträge je 30 Minuten standen auf dem Programm der 31. Ausgabe des E-Commerce-Forums.
Nach einer kurzen Begrüßung ging es dann in der so genannten „Färberei“ auch schon los. Opener war Alain Veuve, der über digitale Transformation und vor allem über „Das agile Unternehmen“ sprach. Alain sammelte bei mir schnell Pluspunkte, weil er die fortschreitende Technologie nicht mit den Bildern der letzten beiden Papstwahlen (ich kann es echt nicht mehr sehen), sondern einem Vergleich von Verhalten in einem Zug (Folie 6) visualisierte. Aber auch durch seinen wichtigen Hinweis, dass Scrum noch kein agiles Unternehmen macht. Hier ist seine Definition von Agilität zu sehen:
Da gerade in digitalen Branchen heute fast immer mit Scrum gearbeitet wird, hat sich oft eine prozessverliebte Haltung entwickelt, die echte Agilität nicht unterstützt, sondern sogar verhindert. Es gilt die Prozesse wirklich agil zu gestalten, so dass es dem Unternehmen jederzeit möglich ist, situativ zu reagieren. Denn nur dann kann am Ende der Kunde im Mittelpunkt stehen. Wenn der Prozess im Zentrum des Handelns platziert ist, wird das nichts mit der Kundenbegeisterung.
Hamburger Rockstar
Nach dem sympathischen Schweizer, durfte der heimliche Stargast des Abends auf die Bühne: Philipp Westermeyer aus Hamburg. In der Online-Marketing Branche kennt sicher jeder OMR aka Online Marketing Rockstars, DAS Event mit 40.000 Teilnehmern, welches immer im März in Hamburg stattfindet. Philipp ist Mehrfach-Gründer und auch Co-Founder dieses Formats, welches er mit seinem Team groß und erfolgreich gemacht hat. Über sein Podcast, der jede Woche spannende Einblick in die Szene gibt, habe ich in diesem kuscheligen Blog, bereits berichtet.
Philipp hatte uns seine Sicht auf Marketing Strategien 2017/2018 mitgebracht, und dabei sehr authentisch, dynamisch und eindrücklich darauf hingewiesen, dass deutsche Internetunternehmen im internationalen Vergleich deutlich hinterherhinken. Aber Philipp sagt auch, dass es Hoffnung gibt. Als Beispiel für gute Produkte mit starkem Marketing nennt er Thermomix und Casper. Das Wuppertaler Unternehmen Vorwerk geht in Sachen Vertrieb für seine 1.200 Euro teure Küchenmaschine ungewöhnliche Wege. Nur beim Verkaufsberater im Rahmen einer Vor-Ort-Session, kann das Produkt erworben werden. Damit wird sicher gestellt, dass der neue Besitzer sich unter Live-Bedingungen ein echtes Bild vom Produkt machen kann. Die so genannte Customer Experience bleibt hier also nicht theoretisch, wie beim Onlinekauf. Das der Thermomix inzwischen so etwas wie einen Kultstatus besitzt, zeigt nicht nur das nachstehende Video aus dem Kölner Karneval, sondern auch, dass es aktuell 7 Zeitschriften gibt, die sich ausschließlich dem Thermomix widmen. Großartiges, organisches Content-Marketing, für das Vorwerk keinen Cent bezahlt.
Mit diesem Video nahm uns Philipp mit in die Welt des Thermomix-Hype.
Ähnlich verhält sich das Beispiel des Berliner Matratzenherstellers. Bisher mussten Käufer einer neuen Schlafunterlage sich nach ca. einminütigem Probeliegen im Matratzeneinzelhandel entscheiden, ob sie die nächsten 7 Jahre jede Nacht auf dieser Matratze liegen wollen. Das ist ungefähr so, wie einen LKW kaufen zu wollen und 2 Minuten mit dem Smart probeweise ums Eck zu fahren. Mit echter Product Experience hat dies nichts zu tun. Nun kann der Interessent bei Casper die Matratze online bestellen, bekommt sie kostenfrei nach Hause, kann 100 (!) Tage testen und bei Nichtgefallen wird das Teil kostenfrei wieder abgeholt. Aber wie Philipp gut zusammenfasst: „Man muss heute schon ein richtig gutes Produkt haben.“
Spannend fand ich auch die Sichtweise auf Bestandteile des Produkts. Hier nannte Philipp das Payment und Prime bei Amazon, Elon Musk oder die Showrooms bei Tesla sowie die bereits erwähnte 100-Tage-Rückgabegarantie von Casper. Somit wird das Produkt selbst zum Teil des Marketings.
Nach dem energiegeladenen Auftritt des Wahl-Hamburgers, ging es in die verdiente Pause. Ein kühles Getränk an der Bar, kleine Snacks und viele Gespräche gestalteten die Unterbrechung äußerst kurz, und so stand wenig später Alexander Graf auf der Bühne.
Kassenzone meets Plattform
Alexander hat seinen Vortragstitel Innovate or die laut eigener Angabe von Gary Vaynerchuk geklaut. Vielleicht hat er auch deshalb gleich zwei Videos des amerikanischen Social Media Star in seine Präsentation integriert. Im zweiten der gezeigten Clips, spricht Gary über die Insolvenz von Toys r us und kommt zur titelgebenden Erkenntnis. Sehr nachvollziehbar, und erneut eines der vielen warnenden Beispiele für heute noch erfolgreiche Industrien. Deshalb habe ich das Vorgehen von Alexander kopiert. Der Titel passte sehr gut zu dem Abend im Kesselhaus und somit auch zu diesem kleinen Rückblick.
Alexander Graf ist intimer Kenner der E-Commerce-Szene, CEO von Spryker und Betreiber des bekannten Blogs und Podcast Kassenzone. Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stand die Plattformökonomie und ihre zukünftigen Auswirkungen. Seine These: Die Plattformanbieter erobern die Devices und als Nutzer bewegen wir uns in eine Welt voller Möglichkeiten, aber auch voller Abhängigkeiten. So kann sich der Tesla Kunde zukünftig für den nächsten Tag gegen eine kleine pauschale 50 PS dazu buchen, muss aber vielleicht auch transaktionsbasiert seinen Parkassistenten bezahlen. Wobei, so ein Assistent kostet heute bei deutschen Herstellern ja mehrere Hundert Euro. Dafür kann ich drei Jahre lang, jeden Tag 3x assistenzunterstützt einparken und je Transaktion 10 Cent bezahlen und bin immer noch günstiger.
Mich hat der Vortrag von Alexander bestätigt. Ich glaube daran, dass Autos, Kühlschränke, TV-Geräte, etc. in Zukunft nichts mehr kosten, oder nur eine Auszahlung analog dem Mobilfunkmarkt heute. Das Geld wird mit Transaktionen dieser Devices verdient. Der Kühlschrank bestellt Lebensmittel, im Auto, welches alleine fährt, tätige ich meine Amazon-Bestellungen und auf dem TV schaue ich ja schon heute nur Netflix, Amazon und DAZN. Nicht umsonst haut Amazon seinen Sprachassistenten Echo ab 60 Euro raus. Es geht um die Eroberung unserer Haushalte und das frühe Besetzen und Angewöhnen im Bereich neuer Technologie.
In diesem Kontext gab es noch ein wichtigen Hinweis von Alexander und Gary: Die Haltwertzeit von Wissen, bspw. in den Bereichen SEO oder UX, ist heute extrem kurz. Wer vor wenigen Jahren SEO-Experte war, ist dies heute nicht automatisch immer noch. Wer sich vor kurzer Zeit auf die Interaktion mit dem User auf einem mobilen Device spezialisiert hat, wird vom Experten für Sprachsteuerung abgelöst.
Digitale Transformation und Autoverkäufer
Zum Abschluss des gelungenen Abends durfte dann André Morys mit „PERSONAlisation“ auf die E-Commerce-Bühne. Es wurde ein launiger Vortrag in Sachen Conversions und Interaktion mit dem User. Kein Wunder, denn André ist CEO von KonversionsKraft und Web Arts. Er startete mit einem wunderbaren Beispiel von reBuy. In einem Newsletter den André erhalten hatte, empfahl ihm der Anbieter diverse Samsung-Tablets und leitete dies ein mit „auf Basis deiner letzten Bestellung“. Nur hatte André nicht nur einmal, sondern 10x dort bestellt, und zwar ausschließlich Apple Produkte. Was macht deren Algorithmus da?
Interessant fand ich den Hinweis auf die Ergebnisse von Verkaufsprozessen mit und ohne Empfehlungen. Dort wo auf Empfehlungen verzichtet wurde, waren die Ergebnisse sogar minimal besser. Warum? Weil die Empfehlungen Sinn machen müssen. Beispiele wie das von reBuy zeigen, dass dies aber bei weitem nicht immer der Fall ist.
Dann kam Jeff Bezos auf die Bühne, zumindest auf einer Folie von André, der den berühmten Satz „Start with the customer and work backwards“ mitgebracht hatte. Darauf basierend platzierte er seinen wichtigen Hinweis, dass jede Menge Daten über den Kunden noch keinen ROI erzeugen. Sondern das vielmehr mit diesen Daten der Kunde stimuliert werden muss und somit eine Reaktion auslöst, die später zum ROI führt. Und über das, wie ich den Kunden oder Interessenten stimuliere, hat André dann eine Analogie zum Automobilverkäufer hergestellt.
Ein guter Automobilverkäufer wird das gleiche Fahrzeugmodelle an unterschiedliche Kundentypen (die er sofort erkennt) mit sehr unterschiedlichen Argumenten verkaufen. Er lässt sich auf den Kundentypen ein, weiß wie dieser auf bestimmte Produktattribute reagiert, und kann dessen Verhalten aufgrund seiner Erfahrung antizipieren. Und genau so muss es auch im E-Commerce sein. Kunden beobachten, die unterschiedlichen Typen identifizieren und dann die Customer Experience exakt darauf ausrichten.
André zeigte uns noch weitere spannende Charts zu einer Case Study, sprach über die Kraft von A/B- bzw. Onsite-Tests und gab aus seiner 20-jährigen Erfahrung noch die Erkenntnis zum Besten, dass es nicht viel bringt Kunden zu befragen, da sie nicht sagen können, was sie wirklich wollen. Oder sich, frei nach Henry Ford, für schnellere Pferde, statt für Autos entscheiden würden.
Konvertiert das?
Kommt der Teilnehmer wieder? Ich muss sagen, dass ich ehrlich überrascht war von der Qualität der Vorträge. Normalerweise ist so ein Line-up doch recht unterschiedlich was Inhalt und Unterhaltung angeht. Aber alle vier Redner waren inhaltlich gut und konnten selbst Experten noch die ein oder andere wertvolle Erkenntnis mitgeben. Es war auch zu spüren, dass die vier Herren nicht zum ersten Mal auf einer Bühne stehen und neben dem reinen Contenttransfer auch zu unterhalten wussten. Prima, so muss das. Somit werde ich die Veranstaltung wohl noch öfters besuchen, dann aber bitte auch mit Damen auf der Bühne.
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