Warten. Ein unglaublich negativ belegtes Wort. Oder? Warten an der Ampel, beim Bäcker, auf den Bus, vor der Waschanlage, auf Weihnachten (als Kind), an der Kasse im Supermarkt, auf den ersten Kuss, auf das neue iPhone und in einem Zimmer, welches nur für diesen einen Zweck da ist: Das Wartezimmer.
Das Wartezimmer kennen wir überwiegend aus Arztpraxen. Ok, auch beim Friseur muss man warten, genauso wie im Restaurant auf die Bedienung. Aber nirgendwo wird das Warten so explizit ausgelebt wie beim Arzt. Und deshalb hat jeder Arzt auch ein Wartezimmer.
Warte, ich rechne das mal aus
Hat schon mal jemand ausgerechnet, welcher volkswirtschaftliche Schaden durch Wartezimmer verursacht wird? Dieser Statistik nach, behandeln Ärzte im Schnitt 45 Patienten am Tag. In einer Studie von Kantar Health (Quelle)
aus dem Jahr 2011 ist zu erfahren, dass die durchschnittliche Wartezeit, je nach Fachrichtung, zwischen 20 und 30 Minuten liegt. Die halbe Stunde gilt gemeinhin übrigens als vertretbar. Nun zum Zahlenspiel: 45 Patienten. Jeder wartet im Schnitt 25 Minuten. Das sind 1.125 Warteminuten am Tag. Rechnen wir mit 220 Arbeitstagen des Arztes, kommen wir auf 247.500 Warteminuten pro Arzt und Jahr. Es gibt ca. 150.000 niedergelassene Ärzte in Deutschland. Na, schon im Kopf ausgerechnet wie lange die Deutschen insgesamt pro Jahr im Wartezimmer sitzen? Genau, es sind 618 Mio. Stunden oder 25 Mio. Tage pro Jahr. Was man alles in der Zeit machen könnte. Arbeiten, Geld ausgeben, Lernen, ein Ehrenamt ausüben, die Welt verbessern, usw.
Warte, das ist einfach Teil des Systems
Damit die Menschen nicht 25 Mio. Tage pro Jahr in Arztpraxen auf dem Flur rumstehen, gibt es die Erfindung des Wartezimmers. Ich bin in einem Alter, wo es ab und zu mal im Körper zwickt, und die ein oder andere Vorsorgeuntersuchung Sinn macht. Soll heißen, ich habe in den letzten Jahren das ein oder andere Wartezimmer von innen gesehen. Ich habe ja immer Angst, dass ich in einem Stephen King Roman lande, und das Wartezimmer mich nie wieder ausspuckt. Und teilweise ist es auch so. Ich bin jedenfalls happy, wenn die Wartezeit im statisch ermittelten Durchschnitt bleibt.
Warte, doch nicht in das Wartezimmer
Wenn man einen Arzt findet, den man ohne Angst mehrfach besucht, begleitet man ja auch die Entwicklung des Wartezimmers. Es wird, wie der Arzt selbst, die treue Arzthelferin und der Nadeldrucker der die Rezepte ausdruckt, nicht jünger. Dabei sollte man doch meinen, dass ein Raum, in dem jeden Tag 45 zahlenden Kunden zwischen 20 und 30 Minuten verbringen, wie eine Suite im Ritz Carlton ausgestattet ist. Touchpointmanagement nennt man das – also wenn man sich darum kümmert, was ja nicht der Fall ist. Aber sind wir mal ehrlich, bei der spannenden Lektüre von „Die Aktuelle“, „Frau im Spiegel“ und der „Auto, Motor & Sport“ von vor zwei Jahren, da fällt kaum auf, dass die Stühle alt, abgesessen und unbequem sind. Ein Blick für die Wände, die seit 10 Jahren keine Farbe gesehen haben, hat man auch nicht – die Lektüre fesselt.
Warte, nur Edge
In der Regel versucht der Arzt seine wartende Kundschaft mit Zeitschriften die Zeit bis zur Behandlung zu verkürzen. Doch meist handelt es sich dabei um wenig aktuelle und mäßig interessante Publikationen. Ok, die Geschmäcker sind verschieden. Gut, dass ja heute fast jeder sein Smartphone dabei hat, so kann man sich auch mit einem Spiel die Zeit vertreiben, mal eben Facebook und Twitter checken oder, statt die vorletzte Ausgabe des Spiegel zu lesen, auf Spiegel Online die wirklich neuen Nachrichten abrufen. Theoretisch. Denn in irgendeinem Gesetz muss stehen: In Wartezimmern ist nur Edge erlaubt. Denn auch in einer Großstadt wie Karlsruhe, hatte ich noch nie eine schnellere Verbindung in einem Wartezimmer, völlig unabhängig vom Stadtteil in dem sich die Praxis befindet. Jetzt könnte man ja auf die Idee kommen, dass der Arzt statt alte Lesezirkel-Schmöker seinen Kunden ein offenes WLan anbietet. Aber das wäre ja zu viel des Guten. In einigen Wartezimmern ist die Nutzung von Handys sowieso verboten. Dann auch noch WLan? Wo kommen wir da hin?
Warte, das ist doch ein Klischee, oder?
Die Protagonisten in einer Arztpraxis fügen sich in vordefinierte Rollen. Da sind zuerst natürlich die Halbgötter in Weiß. Als Normalsterblicher ist man froh wenn sie einem überhaupt anhören und alles was sie sagen wird niemals nicht in Frage gestellt, denn der Arzt verfügt um grenzenlose Weisheit (deshalb auch der weiße Kittel). Dann gibt es das strenge, oft unfreundliche Personal, welches darüber entscheidet, wer zum Halbgott vorgelassen wird. Und natürlich die Patienten, die hilflos alles über sich ergehen lassen, denn am Ende, egal wie lange es dauert, wird ihnen der gute Herr Doktor helfen.
Ok, ich gebe es zu. Das ist extrem überspitzt und ich ziehe vor allen Ärzten und den Mitarbeitenden in den Praxen meinen Hut. In der Regel ist das ein Knochenjob und auch ich bin froh, dass es diese Menschen gibt. Danke.
Warte, ich hab’ ne Idee
Aber mal ehrlich, ein Arzt ist ein Gewerbetreibender. Er hat studiert und vermittelt sein über Jahre angeeignete Wissen gegen Entgelt an Menschen, die nicht über dieses Wissen verfügen. Damit unterscheidet er sich weder vom Rechtsanwalt, noch vom Unternehmensberater. Darüber hinaus verfügt er oft über Geräte, die keiner von uns zuhause rumstehen hat, und sonstiges Werkzeug (besonders gruselig beim Zahnarzt zu beobachten). Auch hier ist der Unterschied zum KFZ-Meister nicht sehr groß.
Die Menschen die die Leistungen eines Arztes in Anspruch nehmen, werden nicht umsonst Patienten, statt Kunden genannt. Dies liegt unter anderem daran, dass hierzulande der Kassenpatient keine Ahnung hat, was sein Arzt für seinen Besuch an Entgelt erhält. Ein eklatanter Mangel an Transparenz. Somit entsteht nicht das Gefühl Kunde zu sein. Und dennoch ist es wie in jeder anderen Branche auch, der Anbieter benötigt eine bestimmte Anzahl an Kunden, und somit auch an Umsatz, um am Ende des Tages seine Rechnungen bezahlen zu können. Dabei steht er genauso wie der Bäcker oder Friseur im Wettbewerb und versucht Zusatzleistungen zu verkaufen.
Vor diesem Hintergrund verstehe ich es nicht, dass so viele Ärzte ihre Patienten nicht als Kunden sehen und sich mehr Gedanken über die Kundenerlebniskette Gedanken machen. Wie wird der Kunde empfangen, wo und wie verbringt er seine (sehr kurze) Wartezeit, welche Informationen werden ihm zur verfügung gestellt, wenn er nicht vor Ort ist, wie kann der Kunde mit dem Anbieter Kontakt aufnehmen, usw.
Ich habe schon so oft erlebt, dass ich über mehrere Stunden in der Arztpraxis niemand telefonisch erreicht habe, da die dortigen Mitarbeiter entweder bereits telefonierten oder einfach keine Zeit hatten auch noch das Telefon zu bedienen.
Infolge dessen begrüße ich Bewertungsportale wie Jameda. Dort kann man bei der Auswahl des (Fach)Arztes bereits einige Informationen über Wartezeiten erhalten und sich die ersten Gedanken machen. Dort, wo bestehende Kunden über kurze Wartezeiten berichten, ist die Wahrscheinlichkeit der Neukundengewinnung sicher deutlich höher.
Tipp vom Kapitän
Also liebe Ärzte, wie gestaltet ihr ein Wartezimmer, in dem sich der Aufenthalt gar nicht als Warten anfühlt? Wechselt doch mal die Perspektive. Setzt Euch mal bei Euch, oder einem Kollegen, 30 Minuten ins Wartezimmer und stellt euch konkret die Frage, was hier besser sein könnte. Schreibt euch alles auf was euch einfällt und setzt es dann nach und nach um.
Wenn die üblichen 20 Minuten wie im Flug vergehen, ich nicht 10 cm, neben dem stark hustenden Kollegen sitze, die Luft im Raum gut ist und ein WLan es mir ermöglicht meine Wartezeit sinnvoll zu nutzen, in dem ich bspw. einen Podcast streame, dann bin vielleicht auch ich ein begeisterter Kunde.
Wenn du bis an diese Stelle gelangt bist, hast du mir und meinen Gedanken Zeit gewidmet. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken, denn Zeit ist ein sehr wertvolles Gut. Solltest du das Gefühl haben, dass die Zeit gut investiert war, dann teile doch bitte den Artikel über ein Social Network deiner Wahl. Einfach den entsprechenden Share-Button unterhalb dieser Zeile anklicken. Vielen, vielen Dank.