Im Mai 2019 durfte ich bei uns im Unternehmen einen kleinen Impulsvortrag zu Working Backwards präsentieren. Diese Methode ist einfach wie hilfreich um noch kundenzentrierter zu agieren. Amazon gilt als Quelle der Methode. Vor wenigen Wochen ist nun ein Buch dazu erschienen. Grund genug, endlich auch an dieser Stelle Working Backwards zu beschreiben.
Die Basis
In einer Zeit in der die Gesellschaft immer mehr den Sinn (Purpose) hinterfragt, vor allem auch im Business-Kontext, ist das WAS, und vor allem das WARUM, sehr wichtig geworden. Neben WAS-Fragen die wir uns stellen, wie bspw. „Welche Bedürfnisse haben meine Kunden, und wie möchte ich diese adressieren?“ stellt der potenzielle Kunde auch immer häufiger die WARUM-Frage „Warum sollte ich gerade hier meine Zeit investieren oder mein Geld ausgeben?“
Entsprechend wichtig ist es, das eigene Warum zu kennen und mit dem Kunden und seinen Bedürfnissen zu synchronisieren. Hier erneut der Hinweis auf Simon Sinek und seinen berühmten Golden Circle.
Working Backwards – Das Erfolgsmodell von Amazon
Im Februar 2021 ist das Buch „Working Backwards – Insights, Stories, and Secrets from Inside Amazon“ erschienen. Autoren sind Colin Bryar und Bill Carr. Bryar startete 1998 bei Amazon, sein Co-Autor nur ein Jahr später und wurde als „Jeffs Schatten“ bezeichnet, da er als technischer Berater Seite an Seite mit dem Gründer arbeitete. Carr war zuletzt Vizepräsident des Digitalgeschäfts. Ich habe das Buch noch nicht gelesen, so dass ich keine weitere Einschätzung zur Lektüre geben kann. Aber es gibt viele Vorträge zu dem Thema, so dass auch bisher ein ganz guter Einblick in das Verständnis der Kundenzentrierung bei Amazon publik ist.
„Working Backwards from the customer“ zwingt uns, am Anfang eines jedes Innovationsprozesses den Kunden „voranzustellen“, uns mit seinen Problemen zu befassen, seine Perspektive anzunehmen und seine wichtigsten Bedürfnisse zu adressieren. Working Backwards stellt sicher, dass wir uns mit den schwierigsten Fragestellungen auseinandersetzen, bevor wir uns an die Umsetzung machen, an die Technologien setzen, die Methoden zur Implementierung und das Coden. Es erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wir uns auf etwas fokussieren, was für den Kunden relevant ist.“
So beschreibt Feras Alsamawi, Digital Innovation EMEA (Amazon Web Services) das Vorgehen bei Amazon. Er sagt weiterhin:
„Wir müssen eine neue Produktvision also in einer kundenzentrischen Sprache beschreiben, die jeder versteht – egal mit welcher Komplexität wir es „im Unterbau“ zu tun haben.“
Feras Alsamawi
Ich denke das beschreibt es sehr gut und die Praxisbeispiele weiter unten skizzieren darauf basierend eine mögliche Vorgehensweise. Mittel wie Pressemitteilungen, FAQs, Reviews etc. werden auch von Amazon immer wieder exemplarisch als wichtige Werkzeuge genannt – BEVOR ein Produkt oder ein Service konzipiert wird.
Schon Steve Jobs wollte rückwärts
Auch wenn der Begriff Amazon zugeschrieben wird, so ist die Idee nicht neu, höchstens vielleicht die Konsequenz, mit der Jeff Bezos diese Methode in seinem Unternehmen verankert hat. Auch Steve Jobs beschrieb das ideale Vorgehen:
You’ve got to start with the customer experience and work backwards to the technology. You can’t start with the technology and try to figure out where you’re going to sell it.
Steve Jobs
Ich erlebe immer wieder Ansätze wie „Wir müssen auch was mit Blockchain machen“, oder „Wir können jetzt dies und das, wie können wir das in unsere Produkte implementieren? Wir müssen mit der Zeit gehen, das ist jetzt der aktuelle Trend …“.
Das ist nicht der richtige Weg. Technologie und Fähigkeiten sollten immer bestmöglich eingesetzt werden um Kundenbedürfnisse zu befriedigen. Sie stellen nie einen Selbstzweck dar. Oder wie Seth Godin es sagte:
Don’t find customers for your products, find products for your customers.
Seth Godin
Tipps zur Umsetzung
Am besten wird die Methode im Team angewendet. Unterschiedliche Perspektiven sind ein Muss. Deshalb achtet bitte auch auf Diversität (siehe unter „Grundsätzliches“). Dann kann es los gehen.
Pressemitteilung
Wenn eine neue Idee, ein neues Projekt, ein neues Feature etc. intern vorgestellt werden soll, schreibt eine kleine Pressemitteilung. Diese sollte
- ganz einfach und klar sein
- den Nutzen des Kunden bzw. seine Bedürfnisse im Fokus haben
- auf Fachbegriffe so weit wie möglich verzichten
Ihr könnt dies bspw. innerhalb des Teams mit der Brain-Writing-Methode umsetzen.
FAQ
Das Erstellen bzw. Sammeln von vermuteten häufigen Fragen gibt schnell Klarheit darüber, ob das Produkt, das Feature oder der Service so konzipiert ist, dass der Kunden seinen Nutzen sofort versteht. Sammelt zunächst alle Fragen und stellt diese dann auf den Prüfstand. Würdet ihr aus der Kundenperspektive diese Frage wirklich stellen oder bspw. erwarten, dass diese Frage überhaupt nicht notwendig sein dürfte. Bei Fragen die euch plausibel erscheinen, beantwortet diese gemeinsam im Team und versucht auch hier wieder analog der Presse-Mitteilung
- ganz einfach und klar sein
- den Nutzen des Kunden bzw. seine Bedürfnisse im Fokus haben
- auf Fachbegriffe so weit wie möglich verzichten
Legt euch bei Bedarf ein „Kunde – Firma / Firma – Kunde“-Wörterbuch zu, in dem ihr definiert, wie Fachbegriffe für den Kunden einheitlich und leicht verständlich beschrieben werden. Nachstehend ein Beispiel von der „Deutsche Bahn“:
Eine ergänzende Möglichkeit ist es, auch für die Stakeholder eine FAQ zu verfassen und deren Perspektive einzunehmen. Grundsätzlich solltet ihr beim Erstellen der FAQ auf die zuvor geschriebene Pressemitteilung aufbauen.
Bewertungen / Social Media
Hier gibt es immer zwei Betrachtungsweisen
- Was würdet ihr gerne für Kundenstimmen lesen?
- Was glaubt ihr, wird der Kunde tatsächlich schreiben?
Dabei sind die Kundenstimmen die Zielfunktion, und die vermuteten Reviews oder Postings der Gradmesser.
Visuals / Audio / etc.
Je nach Art des Projekts oder Produkts kann es auch sinnvoll sein zu skizzieren wie das Ergebnis aussehen soll. Sollte eine Audio-Komponente involviert sein, bspw. bei einem Erklärvideo, kann auch dies berücksichtigt werden (Beispiel: Beschreibung der Stimme, Hintergrundmusik, etc.). Bei visuellen Umsetzungen geht es nicht um Screendesign, sondern vielmehr um eine Art Storyboard. Hier reicht es aus, von Hand zu zeichnen oder mit einem einfachen Mockup-Tool wie balsamiq oder Adobe XD zu arbeiten.
Grundsätzliches
Bei diesem Vorgehen ist es besonders wichtig beim Perspektivwechsel auf eine klare Trennung von potenzieller Kundenmeinung zum eigenen Wunsch zu achten. Seid selbstkritisch und holt am besten Meinungen von außerhalb des eigenen Teams bzw. der bisher involvierten Gruppe ein. Provokante These:
Wenn immer die gleichen Leute zusammen sitzen, kommt auch immer das Gleiche dabei raus.
Oliver Heim
Sorgt für Diversität in dem ihr bspw.
- Kollegen aus ganz anderen Fachbereichen um deren Meinung bittet
- potenzielle Nutzer im eigenen Unternehmen, in der Familie oder im Bekanntenkreis befragt
- im privaten Umfeld potenzielle Nutzer identifiziert und sie um ihre Meinung bittet
- bei eigenen wie Wettbewerbsprodukten die vorhandenen Bewertungen/Kommentare lest
- etc.
Behaltet dabei bitte den Aufwand im Auge. Dieser sollte natürlich im Verhältnis zur Größe des zu prüfenden Produkts bzw. des Potenzials der Idee stehen. Häufig ist gar nicht viel nötig um entscheidende Erkenntnisse zu gewinnen. Transparenz und Kommunikation sind dabei die Schlüsselfaktoren.
Einblick bei Amazon
Hier der Vortrag „Working Backwards: Amazon’s approach to innovation“, der im Rahmen der AWS re:Invent 2020 gezeigt und nun am 05.02.2021 veröffentlicht wurde.
Jeff Bezos, der Amazon-Gründer sagte einmal „Kunden sind Götter“. Das geht sicher zu weit, denn wir können nicht jedes willkürliche Kundenbedürfnis befriedigen. Die Lösung muss zum Unternehmen passen, wirtschaftlich sein, darf das Unternehmen selbst, strategische Partner, andere Kunden und insbesondere die Mitarbeitenden nicht beschädigen. Kurz, das Angebot sollte ins bestehende Ökosystem passen oder bei Bedarf ein neues öffnen.
Aber wenn dieses Matching vorhanden ist, dann sollte keine Anstregungen zu groß sein.
Working backwards from customer needs often demands that we acquire new competencies and exercise new muscles, never mind how uncomfortable and awkward-feeling those first steps mights be.
Jeff Bezos
Hast du schon mit Working Backwards gearbeitet oder Fragen zur Methode? Ich freue mich über den Austausch.
Wenn Du bis an diese Stelle gelangt bist, hast Du mir und meinen Gedanken Zeit gewidmet. Dafür möchte ich mich ganz herzlich bedanken, denn Zeit ist ein sehr wertvolles Gut. Solltest Du das Gefühl haben, dass die Zeit gut investiert war, dann teile doch bitte den Artikel über ein Social Network Deiner Wahl. Einfach den Share-Button unterhalb dieser Zeile anklicken. Vielen, vielen Dank.