„Der Einzelhandel stirbt durch Menschen wie Dich“, so der Vorwurf den ich neulich zu Hören bekam. Auslöser war meine Aussage, dass ich so gut wie alles – außer Lebensmittel – online bestelle. Der Einzelhandel stirbt aber nicht durch mich, sondern er tötet sich selbst. Ein Erklärungsversuch.
Ich gehöre nicht der Generation Y an und bin mit Sätzen wie „wir fahren in die Stadt“ aufgewachsen. Dies bedeutete sich in die Fußgängerzone zu begeben, einen Schaufensterbummel zu machen, die Auslagen zu bestaunen und in den Geschäften zu stöbern. Als Kind waren die Spielwaren von größtem Interesse, später dann Bücher, Medien wie DVDs und natürlich auch schon damals, bevor der Begriff Gadget in den deutschen Sprachgebrauch einzog, die Elektroartikel. Als Teens und Twens sind wir stundenlang in Plattenläden oder Kaufhäusern mit entsprechender Abteilung, rumgehangen und haben uns Platten angehört und von dem freundlichen Mitarbeitern heiße Empfehlungen bekommen, die wir stolz nach Hause trugen. Ein rundum positives Einkaufserlebnis.
Positives Einkaufserlebnis gesucht
Gibt es das heute auch noch? Sicher, aber es sind Einzelfälle. Ich konsumiere nur noch selten im Einzelhandel, denn die Welt hat sich geändert. Über den Fortschritt der Technologie muss ich hier nicht referieren, aber es scheint als hätten viele Einzelhändler, auch die großen Kaufhausketten, einen 20-jährigen Winterschlaf gehalten und finden sich nun in der neuen Welt nicht mehr zurecht. Für mich als Konsument ist das relativ einfach, ich bekomme online jeden Artikel, bekomme diesen oft bereits am nächsten Tag geliefert und erhalte einen günstigen Preis. Das Gegenargument ist bei Vertretern des Einzelhandel oft die qualifizierte Beratung. Aber mal ehrlich, wo gibt es diese denn? Zwei Faktoren verhindert dies in vielen Fällen. Zum einen sind Fachkräfte teuer und immer seltener zu bekommen, zum zweiten ist die Beratung online durchaus gut, vor allem meist neutraler. Dies gilt sicher nicht für alle Branchen und alle Produkte, aber die Bewertungen die es in allen großen Online-Shops gibt, und die man auch in Fachforen findet, sind in der Regel völlig ausreichend und vor allem neutral.
Wenn der Verkäufer nicht die richtigen Fragen stellt
Ein simples Beispiel verdeutlicht dies. Wenn ich einen TV-Gerät kaufen möchte und einen der bekannten Elektronikmärkte besuche, wird mir der Verkäufer, ich wähle diese Bezeichnung bewusst, mir ein Gerät empfehlen das er selbst bevorzugt, für das er mehr Prämie erhält, oder das aus dem Lager muss. Er wird keine der wesentlichen Fragen nach dem Bedarf stellen. Ich habe das mehrfach ausprobiert. Auch bei einem kleinen Fachhändler um die Ecke wird das nicht passieren, denn dort ist zwar mehr Know-how vorhanden, aber die Auswahl wesentlich kleiner, was einer neutralen Beratung im Wege steht. Wer in einem Online-Forum wie bspw. www.hifi-forum.de nach einer Empfehlung für einen Fernseher frägt, wird als allererstes die Gegenfrage bekommen wie groß der Sitzabstand ist und aus welchen Quellen das Gerät überwiegen bespielt wird. Dies sind die alles entscheidenden Parameter und noch nie hat mir diese Frage ein Mitarbeiter im so genannten Fachhandel gestellt.
Gestern besuchte ich seit Jahren mal wieder die örtliche Karstadt-Filiale und begab mich zielstrebig in Richtung Spielwarenabteilung. Normalerweise bestelle ich auch in diesem Segment alles online, doch ich wollte nur einen 3 Euro Artikel und diesen am Abend meinem Sohn geben. Das Einkaufserlebnis war eine Katastrophe. Die Parkplatzsituation ist in diesem Fall gut (eigenes Parkhaus), aber oft schon das erste Ärgernis. Im Warenhaus dann die Suche nach der Abteilung, dort, in einem großflächigen, völlig verwaisten Bereich, die Suche nach dem Artikel. Ich hatte zuvor versucht auf der Webseite von Karstadt herauszufinden ob sie die Marke „Lego“ führen, dies ist mir nicht gelungen. Da es „Lego“ aber eigentlich überall gibt, war ich zuversichtlich und fand auch den gewünschten Artikel. Er war nicht mit einem Preis gekennzeichnet. Für mich kein Problem da ich den Preis kannte, aber ich hätte niemanden Fragen können, denn es war weit und breit kein Personal zu sehen. Ich also die gewünschte Ware geschnappt und ab zur Kasse. Aber wo ist die denn? Nach langem Suchen und umherirren, dann endlich eine Kasse in Sicht. Oben drüber ein Schild „Hugendubel“. Aha, Shop in Shop, da werde ich also auch nicht bezahlen können. Immerhin konnte ich die Dame fragen und sie wies mir den Weg. Die Kasse, einer der wesentlichen Touchpoints, war total versteckt an einer Wand hinter diversen Warenaufbauten versteckt. Zwei Kassen geöffnet, an beiden Kassen warteten ca. fünf Personen. Es dauerte unendlich lange bis jeder einzelne seine Waren (es war jeweils nicht viel) bezahlt hatte, das Kleingeld abgezählt wurde etc. Zusammenfassend war das Einkaufserlebnis für mich als Kunden furchtbar und ich bin nicht begeistert dort zur Tür raus, sondern verärgert. Bei genauerer Betrachtung hat sich in dieser Karstadtfiliale, die ich seit 40 Jahren kenne, ausser der etwas moderneren Inneneinrichtung nicht viel geändert, aber die Welt außerhalb dieser Mauern.
Mord oder Selbstmord?
Bei all meinen Erfahrungen die ich in den letzten Jahren im Einzelhandel gesammelt habe komme ich zur Erkentnis, dass nicht „Menschen wie ich“ den Einzelhandeln töten, sondern dieser sich selbst umbringt. Es muss den Verantwortlichen, vom Inhaber hinter der Theke bis zum Konzernchef des großen Filialisten, gelingen sich auf die veränderten Kundenbedürfnisse einzustellen. Die meisten machen aber weiter wie bisher und eröffenen parallel einen Online-Shop. Die „Fachleute“ bieten jetzt Click&Collect, sind damit den meisten anderen auch tatsächlich weit voraus, vergessen aber das der Part „Collect“ mit einem Besuch des Ladengeschäfts einhergeht und es somit wieder auf das Einkaufserlebnis des Kunden ankommt. Wenn das nicht begeisternd ist, ist es beim nächsten mal eben nur noch „Click“.
Es gibt sie noch da draußen, die kleinen Läden in denen der Inhaber mit Rat und Tat berät, Begeisterung für das Produkt ausstrahlt und am Kunden und dessen Bedürfnisse echtes Interesse hat. Ja, es gibt sie, aber es sind immer weniger. Auch wenn der ein oder andere sagen wird es ist ein Henne-Ei-Problem, die Händler müssen den Kreislauf durchbrechen und sich auf die digitale Welt einstellen. Der Kunde ist in der Regel gut informiert und kauft gezielt, dann ist eine komfortable Abwicklung ein wesentlicher Bestandteil eines positiv aufgeladenen Einkaufserlebnisses. Oder der Kunde hat kein konkretes Ziel, will stöbern, probieren, testen, sich inspirieren lassen, dann kommt es umso mehr auf die Atmosphäre, Beratung und die Kundenbeziehung auf emotionaler Ebene an. In vielen Fällen scheitert dies aber schon an fehlenden Basics wie einer freundlichen Begrüßung.
Auch beim Bäcker gibt es ein Kundenerlebnis
Viele unterschätzen auch, dass der potenzielle Kunden sich, bevor er den Laden betritt, online bereits informiert hat. Über das Produkt und/oder den Anbieter. Er baut automatisch eine Erwartungshaltung auf, der der Händler gerecht werden muss um Begeisterung zu erzielen. Daraus ergibt sich, dass der Händler die vollständige Customer Journey kennen muss und diese beginnt meist bevor der Kunden das Ladengeschäft betritt. Selbst wenn ich nur beim Bäcker eine Brezel kaufen möchte. Ich habe zuvor die Erwartung das eine Brezel verfügbar ist, das diese frisch ist und schmeckt, das ich nicht lange anstehen muss und der Peis angemessen ist. In der Praxis stehe ich aber beim Bäcker, muss warten weil sich die beiden Verkäuferinnen untereinander unterhalten, bekomme eine Brezel ausgehändigt mit einer Hand die zuvor Kleingeld gezählt hat und bezahle dann 0,78 Euro. Ein Willkommens- und Abschiedsgruß wird höchstens gemurmelt und das Einkaufserlebnis ist gleich null. Während ich die 2 Cent Wechselgeld verstaue frage ich mich dann noch, wer sich solche blöden Preise ausdenkt.
Jeder von uns ist jeden Tag irgendwo Kunde. Nur nehmen wir das meist gar nicht mehr wahr, es sind Automatismen denen wir folgen. Beim Bäcker, an der Tankstelle, an der Würstchenbude, im Supermarkt oder beim Mittagessen im Restaurant. Die Anbieter machen sich meist keine Gedanken darüber, zumindest solange Kunden kommen. Der Einzelhandel muss verstehen, dass sein großer Vorteil die räumliche Nähe zum Kunden ist und die bereits bestehenden Kundenbeziehung extrem wertvoll sind. Alles was online gut funktioniert, kann auch stationär umgesetzt werden. Natürlich sind online die Preise aufgrund niedriger Kosten attraktiver, aber es gibt viele Sparten bei denen es dem Kunden nicht um ein paar Euros hin oder her geht.
Am Ende entscheidet das Kunden- bzw. Einkaufserlebnis und die damit verbundenen Emotionen. Der Kunde muss begeistert, er muss zum Fan werden. Hier ist der Ansatz für den stationären Handel den Online-Shops dieser Welt die Stirn zu bieten, wenn nicht, tötet er sich selbst.
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